Stuttgarter Zeitung: Alles ist bereit - nur das Denkmal fehlt

Stuttgart, 04.10.2014
Von Tim Schleider

Eigentlich ist alles längst beschlossene und durchgeplante Sache. 2007 entschied der Deutsche Bundestag, in Berlin an zentraler Stelle mit einem nationalen Denkmal an die Befreiung von der DDR-Diktatur 1989 und die deutsche Vereinigung 1990 zu erinnern. Die Gelder sind bewilligt, ein künstlerischer Wettbewerb ist seit 2010 entschieden, der Bauplatz an der Spree direkt vor dem Hauptportal des gerade wachsenden Humboldt-Forums ist vorbereitet. Am 3. Oktober 2015 sollte die Einweihung sein, schließlich jährt sich die Vereinigung da zum 25. Mal, passender kann man's kaum haben.

Doch das Projekt kommt nicht vom Fleck. Gerade musste Monika Grütters, die Kulturstaatsministerin des Bundes, eingestehen, dass die Fertigstellung des Denkmals frühestens 2016 gelingen kann. Der Bund als Bauherr zerft sich mit den Ämtern der Stadt um die Baugenehmigung. Erst ging es um eine Kolonie von Fledermäusen, die umgesiedelt werden musste, nun dringen die Denkmalschützer auf Erhaltung eines Mosaiks aus Kaisertagen, das sich im Untergrund gefunden hat. Aber in Wahrheit geht es beim Hin und Her in Detailfragen letztlich auch immer wieder um die Frage, ob der Denkmalsentwurf denn wirklich der richtige sei: die, wie der Volksmund sagt, 'Wippe der Freiheit'.

Damit sind wir aber nicht mehr in Berlin, sondern in Stuttgart. Denn der Siegerentwurf zum 'nationalen Freiheits- und Einheitsdenkmal' ist hier im Kommunikationsbüro Milla & Partner entstanden. Dass der Entwurf tatsächlich etwas Besonderes ist, machen schon die drei Namen seiner Urheber deutlich: Der Geschäftsführer Johannes Milla hat bei diesem Projekt mit der Choreografin Sasha Waltz und dem Architekten Sebastian Letz zusammengearbeitet. Und wie der Zufall es wollte, waren Milla und Letz am vergangenen Mittwoch, dem Tag der jüngsten schlechten Verzögerungsnachricht, zu Gast im Stuttgarter Theodor-Heuss-Haus, um dort ihr Projekt ein weiteres Mal vorzustellen.

Nun ist Johannes Milla schon von Berufs wegen ein Kommunikationsprofi. Dennoch kann man sich nur wundern, wie es ihm und Letz immer wieder gelingt, trotz aller 'bad news', trotz aller keineswegs immer sachlichen Angriffe ihr 'Kind' stets ruhig und nüchtern im Ton, in der Sache aber doch hochengagiert vorzustellen. Alle kritischen Fragen parieren sie mit überzeugenden Antworten, weshalb auch in Stuttgart ein Zuhörer das Fazit zog: 'Ich finde den Entwurf prima. Das ist ja eigentlich gar kein Denkmal mehr. Das ist ja viel mehr.'

Tatsächlich liegt der enorme Charme des Milla-Projekts darin, dass es die Grenzen eines steinernen Nationalmonuments gewitzt überwindet. Dass ein Denkmal 'aktivierend, partizipativ mit dem Besucher und diskursiv' sein soll, sind zwar die bei ¬solchen Gelegenheiten stets benutzten, oft inhaltsarmen Schlagworte, auch Milla griff in seinem Vortrag darauf zurück. Aber in diesem Fall könnte die Idee tatsächlich zur Form werden. Zur bewegten Form.

Die 55 Meter breite und 20 Meter tiefe Metallschale soll nämlich nicht nur für Besucher begehbar sein (die insgesamt 700 Quadratmeter bieten Platz für 1400 Menschen zugleich). Sie soll noch mehr: je nachdem, wie sich diese Besucher auf der Schale bewegen, wird sie sich auch selbst bewegen und auf der einen Seite bis zu anderthalb Meter senken und auf der andere Seite heben, dies allerdings in einem gemächlichen Tempo - weswegen der Architekt Sebastian Letz lieber von einer Waage statt einer Wippe spricht. Ob diese Bewegung aber zustande kommt, hängt davon ab, ob sich vor oder auf der Schale Kommunikation entwickelt: Mindestens fünfzig Besucher müssen sich zu gemeinsamer Aktion entschließen. Mit Verlaub: gibt es ein besseres Bild, um jene zwei Sätze darzustellen, die auf der Schale geschrieben sind? Es sind die zwei Schlüsselsätze der DDR-Revolution von 1989/90, die uns auch in alle Zukunft guttun könnten: 'Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk.'

'Friedlich, individuell, zugleich aber auch gemeinschaftlich, dabei Gemeinsamkeit erzielend, Veränderung bewirkend' - das ist für Milla und Letz die Quintessenz der damaligen Ereignisse. Dafür haben sie eine Umsetzung gefunden, die Architektur, Kunst und Choreografie miteinander verbindet - wobei sie auf alle skeptischen Fragen hinsichtlich Sicherheit und technischer Praktikabilität auch am Mittwoch wieder schlüssige Antworten gefunden haben. Am Schluss kann sich der Zuhörer da nur noch wundern: Warum bauen wir das geniale Denkmal nicht einfach? Warum dieses Zaudern, das sich Fledermäuse und Mosaikreste doch nur als Vorwand nimmt?

Thomas Hertfelder, der Geschäftsführer des Theodor-Heuss-Hauses, hatte den Grund für dieses Zaudern schon in seiner Einführung benannt: Es gibt in Deutschland zwar inzwischen eine differenzierte Bild- und Symbolsprache für Mahnmale, vom Berliner Stelenfeld zur Erinnerung an den Holocaust bis hin zu Günter Demnigs 'Stolpersteinen' in Stadt und Land. Aber die Tradition der großen und stolzen Nationaldenkmale, sie ist mit dem Endes des Kaiser-, des NS- und des SED-Reiches abgebrochen. Wir haben keinen Formenkatalog, um politisch-gesellschaftliche Freude auszudrücken, ohne in Kitsch oder unfreiwillige Komik zu verfallen.

Umso größer ist das Erstaunen, wie der Entwurf von Milla und Letz hier einen Weg findet. Man ahnt, was für ein Anziehungspunkt dieses Denkmal, diese Energiequelle im Herzen Berlins für die Besucher aus der ganzen Welt werden könnte. Und noch dazu ein architektonisch notwendiges Zeichen der Moderne vor der gerade wachsenden Fassade des Humboldt-Zentrums, das ja nach außen mit der historisierenden Disneyland-Fassade des alten Berliner Schlosses verkleidet werden soll.

Dieses Einheitszeichen wäre, um die Idee des Zuhörers im Stuttgarter Heusshaus aufzugreifen, tatsächlich kein bloßes Denkmal mehr. Es wäre ein schlagendes Bild für wenigstens einmal gelungene deutsche Geschichte. Man darf gespannt sein, ob sich Berlin solch ein starkes Zeichen zum guten Schluss doch noch zutraut.

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