Focus: Warum stellen Sie die deutsche Einheit als Wippe dar, Herr Letz?

Als in Berlin die Mauer fiel, war Sebastian Letz 18 Jahre alt und mitten im Abitur. 28 Jahre später schickt sich der Architekt an, das Denkmal für dieses besondere Ereignis zu bauen. ,,Bürger in Bewegung" heißt die monumentale Skulptur, die auf dem Fundament des früheren Kaiser-Wilhelm-1. ­Nationaldenkmals stehen soll. 

Stuttgart, Heusteigviertel. In einem ehemaligen Fabrikgebäude befindet sich das Atelier von Letz. Der 45-Jährige ist Kreativdirektor von Milla & Partner, einer Agentur für „Kommunikation im Raum". In zwei Wettbewerben hat sich sein Konzept einer beweglichen und begehbaren Waage gegen 900 Mitbewerber durchgesetzt. 

Seit 2007 wird debattiert, ob das Freiheits- und Einheitsdenkmal wirklich errichtet werden soll. Eine Grundsatzentscheidung des Deutschen Bundestags liegt längst vor. Doch der Haushaltsausschuss blockierte 2016 die Finanzierung des bis zu 15 Millionen Euro teuren Projekts. Erst eine fulminante Rede von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) vor der Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten brachte die Wende. Jetzt gibt es einen gemeinsamen Antrag von Union und SPD. Darin wird der ursprüngliche Beschluss von 2012 wieder aufgenommen. Das Denkmal kann endlich gebaut werden. 

Letz will mit Leichtigkeit der friedlichen Revolution von 1989 gedenken, als die Ostdeutschen die Vereinigung ertrotzten. ,,Es soll ein freudiges Gedenken sein, an einem einladenden Ort", sagt der 45-Jährige, der an der TU Berlin studiert hat. Die Menschen müssten, so der Künstler, Bestandteil dieses Denkmals sein. ,,Sie sollen damit etwas machen können, sich mit der Geschichte auseinandersetzen." Einmal im Jahr an einem Denkmal der Einheit eine Rede zu halten „ wäre nicht adäquat". Er hofft, dass die Grundsteinlegung zum 17. Juni erfolgt und die gigantische Wanne am 9. November 2019 zum 30. Jahrestag der friedlichen Revolution eingeweiht werden kann. Das Schlimmste, was man dem Architekten antun kann, ist, sein Einheitsdenkmal als Wippe zu bezeichnen. Wieso eigentlich?

Ein Interview mit Sebastian Letz

Warum stellen Sie die deutsche Einheit als Wippe oder Schaukel dar, die sich nach rechts oder links neigen kann, je nach dem, wie sich die Menschen aufstellen?
Das Freiheits- und Einheitsdenkmal erinnert sowohl an die friedliche Revolution von 1989, als auch an die deutsche Wiedervereinigung 1990. Im Zentrum des Denkmals befindet sich eine große, leicht gewölbte Plattform. Diese kann von den Besuchern bewegt werden, wenn sie sich verständigen und gemeinsam in eine Richtung gehen. Die Bewegung erfolgt aber langsam und sanft. Deshalb finde ich die Bezeichnung „Waage“ angemessener.

Was symbolisiert die Waage?
Sie erinnert uns an die große Kraft, die gemeinsames Handeln entfalten kann – bis hin zur Überwindung von Mauern und Grenzen. Durch die gemeinsamen Aktionen verändern die Menschen den Ausdruck des Denkmals und werden so selbst zum Zentrum.

Wie denken Sie über Einheit?
Ich denke erst einmal an Freiheit. Es ist ein ganz wichtiges Momentum gewesen, dass die sozialistische Diktatur der DDR von innen heraus gestürzt worden ist. Das waren Bürger, die mutig genug waren, gemeinsam gegen das Regime auf die Straße zu gehen und so diese epochale Wende einzuleiten. Besonders ist, wie friedlich alles abgelaufen ist. Umso mehr, wenn man sieht, wie andernorts solche Konflikte gelöst werden. Diese friedliche Revolution war ein einzigartiges und freudiges Ereignis – eines der wichtigsten der deutschen und europäischen Geschichte.

Was hat das mit Ihrem Denkmalkonzept zu tun?
An Freiheit und Einheit muss man immer arbeiten. Dieser Prozess ist niemals fertig. So ist es auch bei der deutschen Einheit. Das ist ein ständiges Ringen und noch lange nicht zu Ende. In den Köpfen der Menschen entstehen ja auch immer wieder neue Mauern. Deswegen ist es umso wichtiger, dass das Einheitsdenkmal auf Verständigung basiert. Menschen müssen sich verständigen, gemeinsam auf eine Seite der Schale zu gehen, damit sich diese bewegt.

Dann kann es sein, dass sich die Waage lange nicht bewegt?
Richtig! Das Denkmal zu bewegen, ist eine echte kommunikative Herausforderung. Vielleicht bewegt sich die Waage nur alle halbe Stunde oder noch seltener. Deswegen ist das auch keine Schaukel oder Wippe, wie häufig kolportiert.

Mit Skulptur hat das Denkmal nur noch bedingt etwas zu tun.
Die Waage ist eine erlebbare Metapher, die einen visuellen Ausdruck findet, der ständigem Wandel unterliegt.

Wie soll man das Ding nennen?
Das Denkmal hat zwar eine skulpturale Dimension, braucht aber die Menschen, ihre Verständigung und Interaktion. Insofern wäre der Begriff „soziale Plastik“ der richtige. Erst durch die Menschen fängt das Denkmal an zu leben.

Ist die Zeit der einfachen Skulptur vorbei?
Jede Zeit hat ihre eigene Ausdrucksform. Die historischen Glorien- und Siegesdenkmäler können für diese Aufgabe nicht als Referenz dienen. Die moderneren deutschen Gedenk-Denkmäler können das ebenso wenig, denn sie sind aus anderen Überlegungen entstanden. Es geht dabei um Schuld und unglaubliche Verbrechen. Jetzt aber geht es um ein freudiges Ereignis. Für diese neue Herausforderung haben wir eine eigene Form gefunden. Hier stehen die Menschen im Zentrum.

Welche Rolle spielt in Ihrem Leben die friedliche Revolution 1989?
Mein Vater kommt aus Thüringen, ein großer Teil meiner Verwandtschaft lebt dort. Ich kenne ganz genau die Fragen der innerdeutschen Verfasstheit, die man sich dort stellt. Ich weiß, was es bedeutet hat, in der DDR zu leben, vor allem, wenn man nicht konform zur Staatsdoktrin war, welche Repressionen die Menschen in Kauf nehmen mussten. Es war eine Diktatur, und die Wende eine große Befreiung von diesem Spitzelsystem. Und für mich persönlich ist es das Großartige, dass man sich einfach so besuchen kann, man muss nichts Gedrucktes „nach drüben“ schmuggeln und man kann frei seine Meinung sagen. Das ist doch fantastisch.

Das Denkmal drohte lange Zeit, am Geld zu scheitern. Es soll jetzt 15 Millionen Euro kosten. Warum spielt das bei so einem Unterfangen eine so große Rolle?
Geld spielt immer eine Rolle, faktisch wie argumentativ. Das Denkmal drohte aber nicht am Geld zu scheitern. Es war ein vorgeschobener Grund, der gegen das Denkmal verwendet wurde. Viele Menschen haben die Äußerungen zu den Kosten daher auch als unangemessen empfunden. Ich habe häufig gehört, dass dies angesichts der Bedeutung des Ereignisses absolut unwürdig sei.

Wie passt der Satz: Wir sind das Volk?
Der Satz gehört den friedlichen Revolutionären von 1989. An sie soll erinnert werden. Der Mauerfall markiert immerhin das Ende der damals bipolaren Welt. In der Folge wurden Grenzen aufgehoben, Ideologien überwunden. Man darf sich diese Formulierung nicht von denen stehlen lassen, die sie heute missbrauchen.

Was ist mit der Gefahr, dass aus der Waage eine Halfpipe gemacht wird?
(Schmunzelt) Der Belag ist dafür nicht wirklich geeignet. Aber man weiß ja nie, was Menschen alles probieren möchten.

Darf das Denkmal denn auch als Spielplatz genutzt werden?
Es ist öffentlicher Raum. Insofern gilt alles das, was überall im öffentlichen Raum gilt. Die Menschen müssen gut miteinander umgehen. Wenn es lebendig wird – umso besser.

FOCUS 19/17, 6. Mai 2017

 

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