FAZ: Nimm mich mit, Caravan, auf die Reise: Das neue Hymer-Museum

Seit ein paar Monaten ist die architektonisch wildbewegte neuere Museumslandschaft Oberschwabens um eine rasante Attraktion reicher: Den wirbelnden automobilen Bauwelten von Daimler, Porsche, BMW oder VW nachempfunden, gibt es nun auch eine Hymer-Welt - ein Museum in Bad Waldsee auf rund sechstausend Quadratmetern zur Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Reisens im Wohnmobil.

Errichtet wurde der Neubau zugunsten der eindrucksvollen, mehr als zweihundert historische Fahrzeuge umfassenden Sammlung, die der Reisemobil- und Wohnwagenpionier und Unternehmensgründer Erwin Hymer zusammengetragen hat. Achtzig von ihnen werden nun ausgestellt. Das älteste Stück ist ein vor 150 Jahren entstandener Schäferwagen. Dem Methusalem folgen mehr oder weniger chronologisch die mobilen Wohnungen der frühen dreißiger Jahre, darunter der "Ur-Troll" der Wirtschaftswunderzeit, der VW-Bus, der in den siebziger Jahren für fernesüchtige Hippies ebenso unverzichtbar war wie für reiselustige mittelständische Kleinfamilien, die komfortablen Wohnmobile der achtziger Jahre, mit denen aus Urlaubern, die das Ungewohnte scheuten, oft genug Kolonisatoren auf Zeit wurden.

Als kulturhistorische Parade stehen die Vehikel entlang einer imaginären "Traumstraße", die über zwei Geschossebenen führt, und geben einen fast lückenlosen Überblick über diese Form des Reisens. Die unterschiedlichen Ziele, von den Ötztaler Alpen angefangen bis hin zum Lido, Rimini oder Venedig, werden kenntlich als Sehnsuchtsorte all derer, die seit langem mobiles Reisen, das heute sogenannte "Caravaning", als Zwitterform aus Abenteuer und Gewohnheit, Ferne und Balkonien einem stationären Pauschalurlaub vorziehen.

Hintergrund ist neben der kulturhistorischen Betrachtung die technologische Entwicklung des Wohnmobils, gepaart mit einer Darstellung der Firmengeschichte. Die Hymer AG ist Europas führender Hersteller von mobilen Freizeitfahrzeugen und als Marke mittlerweile Synonym für das mobile Reisen.

So staunenswert die Fahrzeuge, so erwartbar der Bau: Unverkennbar eine Architecture Parlante, lassen seine beiden tomatenrot umrahmten Fassaden sofort an riesige Wohnwagenfenster denken. Nicht anders die gerundeten Konturen des weißen Baukörpers - da bieten die Architekten der erwähnten Automobilmuseen sich mit ihren Kurven, Spiralen und aerodynamischen Schwüngen doch weitaus mehr. Auch was den Umgang mit der Umgebung angeht, fällt der Neubau zwar ins Auge, das aber unangenehm. Anders nämlich als die berühmten barocken Kirchen, Klöster und Schlösser, die ringsum die Kulturlandschaft prägen, indem sie sich perfekt in sie einschmiegen, wirkt das zwölf Millionen Euro teure Hymer-Museum wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Immerhin und trotz alledem: Hoher Aufmerksamkeitswert ist dem Bau des Architekten Joachim Liebel nicht abzusprechen. So darf man wohl getrost mit den prognostizierten 120 000 Besuchern pro Jahr rechnen.
TIMO JOHN

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