Stuttgarter Nachrichten: Trabi mit Toblerone

Wer seinen Hausstand dabeihat, ist unabhängig und kann bleiben, wo es ihm gefällt. Caravaning ist deshalb sehr beliebt. Wie das mobile Reisen sich verändert hat, erleben Besucher im neuen Hymer-Museum in Bad Waldsee.

In allen Größen und Formen säumen sie die Landstraßen. Ist es Einbildung, oder nimmt die Dichte der Wohnmobile tatsächlich zu, je näher man Bad Waldsee kommt? In der Tat liegt das mobile Reisen mit Hausstand im Trend. Der uralte Traum der Menschheit vom Unterwegssein und unabhängigen Reisen wird im neuen Hymer-Museum dokumentiert. Schon von weitem ist das Museumsgebäude auszumachen: mit leuchtend rotem Rahmen, unverkennbar in der Form eines Caravan-Fensters gebaut. Ein überdimensionales Schaufenster in der Landschaft, das durch seine riesigen Glasflächen Einblick in die Ausstellung gewährt.

Das rund 10 000 Quadratmeter große Gebäude versteht sich als Museum für Kulturgeschichte und Technik. Konzept und Design der Ausstellung stammen von der Stuttgarter Kommunikationsagentur Milla & Partner. Johannes Milla hat kürzlich auch mit einem in unserer Zeitung veröffentlichten Vorschlag zur Umgestaltung des Neuen Schlosses für Aufsehen gesorgt.

Dem Besucher eröffnet das Hymer-Museum eine Erlebniswelt, die das Wie, Wohin und Warum des mobilen Reisens zum Inhalt hat. 'Camping ist eigentlich nichts anderes als den kompletten Hausstand ins Auto verladen und verreisen', meint ein Besucher.

Wie sich Sack und Pack am besten verstauen lässt, kann man an mehr als 80 historischen Fahrzeugen und Gespannen begutachten, darunter erste Prototypen wie der 'Ur-Troll', gebaut 1957 von Firmengründer und Stifter Erwin Hymer.

Der Besucher wird auf farbig markierten Traumstraßen zu insgesamt acht Sehnsuchtsorten geführt, die jeweils eine Epoche der Zeit des mobilen Reisens symbolisieren. Den Auftakt bildet die grüne Traumstraße, symbolisch für die ersten Autowanderer der 1930er Jahre, die das Abenteuer Alpenüberquerung lockte. Da ächzten und stöhnten die Motoren, krochen die Fahrzeuge im Schneckentempo die steilen Passstraßen himmelwärts, im Schlepptau eine Einzelzelle auf Rädern, die Urform des heutigen Wohnwagens. 'Wenn wir eine Nacht draußen unter dem freien Himmel im Zelt nächtigen, uns bei Sonnenaufgang den Kaffee selbst kochen und die Zähne im Bach spülen, dann sind wir moderne Zigeuner', so beschrieb der bekannte damalige Reisejournalist Theo Rockenfeller den Zeitgeist dieser Tage, als das Campen noch Wohnwagenwandern hieß. Es war die Zeit von so manch skurrilem Gefährt, dem Sportberger G2 etwa, einer Mischform aus Nutz- und Wohnwagen, der an heutige Hundeanhänger erinnert, damals bekannt als 'Schäferkarren'.

Die, die über das nötige Kleingeld verfügten, verreisten nobel im Borgward Isabella Coupé von 1960 mit dem Luxus-Anhänger Dethleffs Nomad, weniger Betuchte fanden im Ferrari-roten Fiat mit dem Laika-500- Anhänger den passenden Reisegefährten.

Orange markiert den Sehnsuchtsort Indien. Zu Tausenden pilgerten die Blumenkinder und Hippies während der 60er Jahre ins ferne Asien. Ihr Markenzeichen: der kultige VW-Bus, kunstvoll mit psychedelischen Mustern verziert. Ohne GPS, Handy oder Internet - Reisen war damals eine existenzielle Erfahrung auf der Suche nach spiritueller Erleuchtung und sich selbst.

Auch DDR-Bürger entdeckten das Campen als Ausdruck von Individualität und reisten an die Ostsee. Für alle, die sich keinen Wohnanhänger leisten konnten, gab es die 'Villa Sachsenruh', ein spartanisches Autozeltdach, das auf dem Dach des Trabant befestigt wurde. Mit der schokobraunen Zeltplane ähnelt es einem überdimensionalen Stück Schweizer Toblerone-Schokolade.

Entlang der Traumstraße, die von den Alpen nach Italien, Indien, an die Ostsee, in die marokkanische Wüste und zur legendären Route 66 in den USA führt, stehen die ausgefallenen Fahrzeuge: historische Automobile, Reisemobile und Caravans. Liebevoll restauriert und dekoriert wirken sie so lebendig, als wären die Urlauber nur kurz hinausgegangen.

Jeder der acht Sehnsuchtsorte lässt sich mit allen Sinnen erfahren. Im indischen Tempel steht der Kult-VW-Bus, im marokkanischen Zelt erlebt der Besucher auf der Leinwand das geschäftige Treiben des Basars, als wäre er live dabei. Im Wigwam der Nordamerika-Route sitzt man auf Sätteln, die täuschend echt den Trab eines Pferdes simulieren. In der eisblauen Pudelmütze des Sehnsuchtsortes Skandinavien bleibt der Besucher im warmen Caravan, während er durch ein Fenster auf die vereiste Polarlandschaft sieht, in der im Wechsel Polarlichter, Sturm, Wolken und Sonne erscheinen.

Das Museum präsentiert sich mit einem rundum gelungenen Konzept, an dem die ganze Familie Freude hat. Kinder wie auch Erwachsene finden viel Platz zum Ausprobieren und Entdecken. Fotostationen laden dazu ein, sich vor großer Kulisse mit witzigen Accessoires auszustatten und sich selbst zu fotografieren. Die Fotos können als Postkarte erworben oder später im Internet her-untergeladen werden. Als Highlight zum Abschluss lassen sich die Fotos im Globusraum mit seinen dreidimensional im Raum schwebenden Weltkugeln mit Touchscreen aktivieren und anzeigen. So erleben die Besucher ihre ­eigene Weltreise.

Der Besuch ist zu Ende, das Reisefieber ist geweckt. Am liebsten möchte man sofort aufbrechen.

Von Birgit-Cathrin Duval
aus Bad Waldsee

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