Stuttgarter Nachrichten: Jeder kann etwas tun

Ludwigsburg / Stuttgart / Mailand, 29.01.2015
Von Bernd Haasis

Ein Bienenauge schwebt, fliegt, kreist über den Köpfen der Besucher der Show im Deutschen Pavillon der Expo 2015. Es zeigt ihnen eine Projektion dessen, was eine Biene im Flug sieht: Wiesen, Felder und Wald, urbane Gärten, Stadtlandschaften.

Zwei junge Männer, einer mit Gitarre, spielen und lautmalen zum Playback aus Musik und Naturgeräuschen. Sie kommen nahezu ohne Sprache aus, streuen nur vereinzelt italienische Worte ein: 'Dolci!', seufzen sie, wenn die Biene die süße Auslage einer Konditorei durchquert.

Außerdem betätigen sich die beiden als Animatoren: Sie lassen das Publikum Tierstimmen imitieren oder wie bei Popkonzerten ein fröhliches 'Nanana' nachsingen. Wenn im Bienenauge ein Festmahl im Freien zubereitet wird, dürfen die Zuschauer raspeln und hacken, wenn es tröpfelt, regnet, schüttet, den Regen verstärken durch Tippen, Klopfen, Schlagen. Ein Perkussions-Instrument bekommt jeder Pavillon-Besucher bereits am Eingang: Ein sogenanntes 'Seedboard' aus Pappe mit geriffelter Außenhaut, dessen Inneres in der Ausstellung im Pavillon als Projektionsfläche dient.

In einem früheren Fernsehstudio in Ludwigsburg haben die Projektpartner einen Probeaufbau von Teilen des Pavillons ¬errichtet. Seit Wochen feilen Gestalter und Ingenieure an der Show und der Ausstellung, sie entwickeln und testen die komplexe Technik. Zwölf Musikerteams, die sich während der Expo abwechseln, proben unter realen Bedingungen.

In Mailand werden es zwei Bienenaugen sein, die sich an acht Drahtseilen über Winden -geschmeidig und geräuschlos durch den Raum bewegen. 'Es ist ein einmaliges technisches System und speziell für die Expo entwickelt', sagt Wolfram Ressel, Rektor der Universität Stuttgart. 'In der ¬Industrie arbeiten Seilroboter schnell von Punkt zu Punkt, hier ging es darum, weiche Bewegungen zu ermöglichen.' Ein leicht bedienbares Steuermodul hat die Hochschule dafür eigens entwickelt, und Ressel stellt fest: 'Das ist knallharte Mathematik.'

Die Universität war schon an der 'Energiezentrale' in Schanghai mit der Technik betraut, der Aufhängung und Motorisierung der pendelnden, schwingenden Projektionskugel. Den ersten Platz in der Kategorie 'Umsetzung des Themas' bekam der Deutsche ¬Pavillon 2010, und nun gehen dieselben Macher erneut gemeinschaftlich an den Start: Die Agentur Milla & Partner (Stuttgart), das Architekturbüro Schmidhuber (München) und die Baufirma Nüssli (Roth).

'Wieso die schon wieder?', fragt Dietmar Schmitz, Generalkommissar des Deutschen Pavillons, in seiner Vorstellung und geht damit gleich in die Offensive - denn die Entscheidung hatte Unmut ausgelöst bei ¬anderen Szenografen, immerhin kann ein Wettbewerbsentwurf für die Expo gut 250 000 Euro kosten. 'Es war ein intensiver, harter Wettbewerb mit sieben Teams in der Endrunde', sagt Schmitz. 'Das Auswahlgremium mit 13 fachkundigen Juroren hat sich dann knapp für diesen Entwurf ¬entschieden. Und so sitzen wir jetzt wieder hier in Stuttgart.' Ludwigsburg möge ihm verzeihen.

148 Nationen präsentieren sich vom 1. Mai an ein halbes Jahr lang nahe der Mailänder Messe. Die Schweiz, Kuwait, die USA und Österreich sind direkte Nachbarn Deutschlands. Ein 'kleines Unternehmen auf Zeit' sei der Deutsche Pavillon mit seinen 250 Mitarbeitern, sagt Schmitz. Maximal drei Millionen Besucher insgesamt können ihn besuchen, 16 000 pro Tag.

Das Gebäude ist lang gestreckt, eine Folge auch der örtlichen Gegebenheiten: Alle rund 60 Pavillons sollen von der langen Hauptachse des Expo-Geländes zugänglich sein, die Plätze sind länglich und deutlich kleiner als in Schanghai. Deutschland bespielt 110 Hektar, ein Fünftel der Fläche von 2010.

Zwei Wege eröffnen sich den Besuchern, einer mit und einer ohne Warteschlange. Das mit deutschen Hölzern belegte Oberdeck des Pavillons, eine Stilisierung deutscher Felder, soll zum Flanieren und Ausruhen einladen. Es ist teilweise mit leichten Membran-Pflanzen-Skulpturen verschattet, die im Bauch des Gebäudes wurzeln. Dort werden die 'Quellen der Ernährung' präsentiert, der 'inhaltliche Humus', wie Ausstellungsplaner Peter Redlin von Milla & Partner sagt: 'Um jeden der vier Stämme ist ein Thema angesiedelt, Wasser, Boden, Klima und ¬Artenvielfalt. Außerdem geht es um die ¬Produktion von Nahrung und um den Schutz der Quellen.'

Die Herausforderung sei größer als in Schanghai, glaubt Redlin, auch wegen der innereuropäischen Krise: 'In China sind wir auf eine Welle der Sympathie getroffen, in Norditalien ist das Publikum ähnlich kritisch wie bei uns. Wir versuchen, auf Vorurteile zu reagieren, Erwartungen zu brechen, ein leichtes, offenes, humorvolles Deutschland-Bild zu vermitteln mit gut ¬recherchierten Inhalten.'

Diese Expo ist die erste, die sich der ¬Ernährung einer wachsenden Menschheit widmet unter dem Motto: 'Feeding The Planet, Energy For Life' (Den Planeten ernähren, Energie fürs Leben). 'Eine Weltausstellung ist heute eher eine Art Diskussionsforum, das hat sich gewandelt', sagt Schmitz. 'Früher waren das Leistungsschauen für ¬Industrie und technische Wunderwerke wie den Eiffelturm, heute dienen sie als globale Themen-Plattform.'

Deutschland präsentiert sich als Vorreiter in Sachen Umweltschutz und Energiewende sowie als Ideenwerkstatt für die Ernährung der Zukunft. Sechs in dieser Hinsicht engagierte Botschafter geben dem deutschen ¬Expo-Auftritt Gesichter, sie begrüßen die Pavillon-Besucher und verkörpern das Motto der Schau: 'Be active!' - 'Sei aktiv!' Wer sein aufgeklapptes Seedboard über eine in Ludwigsburg aufgebaute Teststation hält, sieht auf der Projektionsfläche zum Beispiel den Apfelbauern Eckart Brandt. Er propagiert Vielfalt auf einem auf wenige Sorten reduzierten Markt, baut selbst Hunderte an, auch viele alte, die dem deutschen Klima und Boden ideal angepasst sind.

Benjamin Adrion engagiert sich in der Trinkwasserversorgung für Entwicklungsländer, Bio-Bauer Josef Braun setzt sich für nachhaltige Bodenbearbeitung ein, Felix Finkbeiner möchte ¬Bewusstsein für den Klimawandel schaffen, Erika Mayr produziert als Stadtimkerin Honig mitten in Berlin, Michael Schieferstein propagiert nachhaltige und gesunde Ernährung.

Die Diskussion darüber, wie die stetig wachsende Weltbevölkerung ernährt werden kann, ist durchaus konträr, industrialisierte Massenproduktion und dezentraler Eigenanbau bilden die Pole. 'Unser Schwerpunkt ist die Zivilgesellschaft', sagt Redlin. 'Uns geht es um Menschen, die mit Herzblut und Engagement etwas initiieren in ihrem Umfeld, um sehr persönliche Sichtweisen.' Keine Leistungsschau also, sondern ein 'Field of Ideas', ein 'Feld der Ideen', als das der Pavillon beworben wird.

Neben den Botschaftern werden in der Ausstellung über 100 weitere Themen aller Art präsentiert, ausgewählt anhand eines Kriterienkatalogs. 'Die Besucher können sich eine eigene Meinung bilden, eine Haltung entwickeln', sagt Redlin. 'Es geht uns auch um mündige Verbraucher, die sich ¬informieren und bewusst auswählen. Jeder kann etwas tun - das ist die Botschaft.'

Das Expo-Motto spiegelt sich auch in der Bauart des Pavillons. 'Wir wollten eine licht- und luftdurchflutete Landschaft, durch die man wandeln kann', sagt Architekt Lennart Wiechell von Schmidhuber. Die Räume sind luftig gestaltet, das Gebäude ressourcenschonend konzipiert, ohne Klimaanlage, mit durchlässigen Wand-Membranen und neuartigen organischen Fotovoltaik-Elementen. 'Solche Konzepte finden immer mehr Akzeptanz, man kann heute auf Hochglanzoberflächen verzichten und stattdessen ungewöhnliche Ansätze und neue Werkstoffe ausprobieren', sagt Wiechell.

Rund 40 Millionen Euro lässt Deutschland sich den Pavillon kosten. 'Das ist eine langfristige Investition in die Zukunft', sagt Schmitz, 'eine Gelegenheit für Deutschland, sich und sein Können der Welt zu ¬präsentieren.' Dazu gehört auch die Esskultur: Der Pavillon beherbergt zwei Restaurants mit deutscher Küche, ein Familienlokal und ein gehobenes, in dem deutsche Sterneköche die Welt zum Staunen bringen sollen.

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