Handelsblatt: Mit den Augen einer Biene

Stuttgart, 13.04.2015.
Von Martin Buchenau

Stuttgart - ja Autos, Maschinenbau und vielleicht noch ein gutes Ballett - aber dass die Schwabenmetropole auch kreativ kann, ist weniger geläufig. Durch das Heusteigviertel weht ein Hauch von Berlin-Mitte oder Münchener Gärtnerplatz. Cafés, arabischer Imbiss, originelle Geschäfte, originellere Menschen als in den Einfamilienhaussiedlungen am Stadtrand mit Blick aufs kurze Grün und den schwäbisch frisch gekehrten Bürgersteig.

Mittendrin im Parterre eines prächtigen Stadthauses aus der Gründerzeit in der Heusteigstraße 44 sitzt die Eventagentur Milla & Partner. Im Foyer ist eine für den Raum völlig überdimensionierte, fast an die Decke reichende Büste von Thomas Mann nicht zu übersehen. Sie lässt die Domäne des Unternehmens erahnen.

Die Skulptur ist eine von 47 und stammt aus der "Ideenwerkstatt", die im Deutschen Pavillon auf der Expo 2000 in Hannover die Welt neugierig auf interessante Deutsche machen sollte. Seither war Milla & Partner schon bei etlichen Weltausstellungen für den deutschen Auftritt verantwortlich. Zuletzt in Schanghai 2010 und demnächst ab dem 1. Mai in Mailand.

Warum wird ausgerechnet dieser wichtige Prestigeauftritt so oft in die Hände der beschaulichen Agentur gelegt? "Wir gewinnen ja nicht jedes Mal den Auftrag", gibt sich Peter Redlin, Kreativdirektor und Geschäftsführer bei Milla & Partner zunächst bescheiden. Redlin, der zuvor an der Akademie der Künste in Stuttgart studierte, hat die Agentur zusammen mit Johannes Milla 1989 gegründet. Sie gehört beiden je zur Hälfte. Redlin überlegt einen Augenblick und nennt dann sein Erfolgsrezept.

"Vielleicht weil wir den Mut haben Dinge zu tun, die vorher noch niemand gemacht hat." Und er hat bewiesen, dass seine kühnen Ideen funktionieren. Redlins Spezialität ist immer wieder modernste Technik in unterhaltsame Präsentationen einfließen zu lassen. Denn die Themen der Weltausstellungen ähneln sich dann doch immer wieder ein bisschen. Diesmal ist das Motto "Feeding the Planet, Energy for Life". Und die Vorgaben des Wirtschaftsministeriums als Auftraggeber, sich eng an das Motto zu halten, sind streng. Im Deutschen Pavillon "Fields of Ideas" soll Deutschland wieder als Land voller Ideen präsentiert werden.

Die Ausstellung soll das Bewusstsein für die Kräfte der Natur als wesentliche Quelle der Ernährung stärken. Im Sinne der Nachhaltigkeit muss diese Quelle geschützt und intelligent genutzt werden. Damit soll der Deutsche Pavillon dem Thema der Weltausstellung gerecht werden, und Antworten auf die Herausforderungen der Welternährung geben, so die Vorgabe des Ministeriums.

"Wir Deutschen haben schon den Anspruch, das Motto sehr ernst zu nehmen", sagt Redlin. Die Kunst sei es, dass es keine werbeüberfrachtete Industrieschau werde, sondern informativ aber gleichzeitig leicht und unterhaltsam wirke. Es komme auch darauf an, dass die Leute lange im Deutschen Pavillon gehalten werden. In Schanghai gelang das hervorragend. Statt der erwarteten 30 Minuten blieben die Leute fast eine Stunde.

Das gehe nur durch eine Mischung von Aktivität mit Inseln der Entspannung wie auf dem begehbaren Dach mit seiner großen Picknickfläche. Der Druck ist auch diesmal enorm. 50 Millionen Euro lässt sich das Bundeswirtschaftsministerium das Aushängeschild auf der Mailänder Weltausstellung kosten. 30 Millionen wendet es für den Bau und die Ausstellung auf und weitere 20 Millionen für den Betrieb mit 250 Beschäftigten während der fünf Monate dauernden Expo.

Milla gehört zur Arbeitsgemeinschaft ARGE, die den Auftrag gewann. Mit von der Partie: wie zuvor in Schanghai die Münchener Architekten Schmidhuber für das räumliche Konzept und die Architektur und Generalplanung, und das Nürnberger Spezialbauunternehmen Nüssli für Ausführung und Projektmanagement.

Aber Redlin ist der kreative Kopf der Konzeption des deutschen Expo-Auftritts. 25 der 80 Mitarbeiter sind für das Expo-Projekt voll eingespannt. Die meisten derzeit vor Ort. Am kommenden Donnerstag ist auf großer Bühne die Präsentation in der italienischen Botschaft in Berlin: Bis zum 20. April soll der Pavillon schlüsselfertig und besenrein zur Übergabe sein.

Redlins Aufforderung an die Besucher in Mailand: "Be active!" - die Besucher sollen selbst aktiv werden. Überall auf ihrem Gang durch den Pavillon finden sie interaktive Stationen zum Mitmachen. Besonderer Gag: Mit dem "Seed-Board", einem mobilen Interaktionsfeld, bekommt jeder Besucher einen persönlichen Ausstellungsbegleiter an die Hand. Es sieht aus wie eine Grußkarte mit welligem Karton auf der Rückseite. Mit ihm kann der Besucher Exponate steuern und bei Interesse vertiefende Medieninhalte abrufen, die über komplizierte Technik auf die Pappe projiziert werden.

"Wir wollen auch bei unserem Auftritt in Mailand wieder etwas Außergewöhnliches bieten, das in Erinnerung bleibt", erklärt Dietmar Schmitz, Generalkommissar des Deutschen Pavillons und Referatsleiter im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie den deutschen Ansatz. Redlin hat die entsprechende Erfahrung dafür.

Am Ende des Durchlaufs werden die Besucher wieder mit einer zehnminütigen Show belohnt. "Die Betrachter werden Deutschland aus den Augen fliegender Bienen sehen", verspricht Redlin. Im Zentrum eines runden Raumes führen zwei Musiker live durch diese Show. Sie sollen die Besucher dazu bringen, mit ihren Händen, Stimmen und dem "Seed-Board" Klänge und Naturgeräusche zu erzeugen.
"Auf diese Weise kreiert das Publikum selbst den Sound zu einer Reise durch Deutschland voller Bilder, Klänge und spannender Momente," erklärt Peter Redlin. Der Bienenflug führt über Felder und Streuobstwiesen, hinein in die Stadt, vorbei an Orten und Menschen, die an der Erzeugung und Verteilung von Nahrungsmitteln beteiligt sind. Der technische Aufwand ist enorm: Bewegt durch Drahtseile, angetrieben von Winden, die zwei Seilroboter steuern, werden in Mailand zwei große Bienenaugen als Projektionsfläche dienen. Sie werden über die Köpfe der Besucher hinweg quasi durch den Raum fliegen. Wochenlang wurde die aufwendige Technik in Ludwigsburg erprobt.

Erfolgsrezept ist dabei die enge Zusammenarbeit mit der Universität Stuttgart. Das dortige Institut für Technische und Numerische Mechanik (ITM) und das Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen (ISW) haben die Steuerungssoftware ,mit der die Bewegung der beiden Seilroboter ,die an jeweils acht Seilen hängen und die sich im Raum bewegen und verdrehen können, entwickelt und programmiert. Sie legt zunächst die Flugbahnen der Augen sowie deren Blickrichtung im Raum fest. Außerdem muss die Geschwindigkeit der einzelnen Seile variabel sein - passend zur Dramaturgie des Bienenflugs. "Damit ist die Steuerung wesentlich anspruchsvoller, als bei Seilkameras, die man aus Sportstadien kennt", sagt Redlin.

Die Uni Stuttgart war auch schon Forschungspartner für die Expo 2010 in Schanghai: Höhepunkt war damals eine Kugel mit einem Durchmesser von drei Metern, die mit rund 400 000 Leuchtdioden beschichtet ist. Sie reagierte auf Geräusche im Publikum und begann auf Zuruf zu schwingen. Im Mailand werden 16 000 Menschen die Ausstellung und die Liveshow täglich sehen können. Bis zum Expo-Ende sind 7 500 bis 10 000 Shows geplant; bis zu drei Millionen Menschen werden dann die Welt mit Redlins Bienenaugen gesehen haben.

Aber allein von Expo-Aufträgen kann die Agentur mit einem Jahresumsatz um die zwölf Millionen Euro nicht leben. Muss sie auch nicht. Denn da hat Stuttgart einen großen Standortvorteil: Die Erfolge auf der Weltbühne helfen auch beim Geschäft in der Heimat. Milla ist spezialisiert darauf, Marken und Produkte in großen Räumen in Szene zu setzen. So haben die Schwaben das Firmenmuseum des Laserspezialisten von Trumpf in Ditzingen konzipiert. Für Mercedes haben sie das große Händlertreffen in Berlin inszeniert.

Und auch das Foyer des neuen Forschungs-Zentrums von Bosch, das im Herbst eröffnet wird, hat Milla & Partner konzipiert. Die Agentur war der Wunschpartner, heißt es bei Bosch. Der Konzern hat auf einem ehemaligen Flugplatz über 160 Millionen Euro verbaut. Das Foyer des Forschungszentrums soll auch der Öffentlichkeit zugänglich sein und als Schaufenster des Konzerns dienen. Bosch-Chef Volkmar Denner baut den Konzern auf Vernetzung um. Seine Vorgabe: "Digitale Kommunikation im Raum". Die Verbesserung der Inszenierung des eher zurückhaltenden Großkonzerns in der Öffentlichkeit, überlässt er den Expo-erfahrenen Profis aus der Heusteigstraße.

EXPO AGROFOOD-PARK.
Universale, große Weltausstellungen finden im Wechsel mit kleineren Expos alle fünf Jahre statt. Die kommende große Expo in Mailand folgt auf Schanghai (2010), Aichi (2005) und Hannover (2000). Thema der Expo 2015 ist "Feeding the Planet, Energy for Life". Sie präsentiert sich als nachhaltiger Agrofood-Park ohne massive Monumentalbauten. Im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie verantwortet die Messe Frankfurt Organisation und Betrieb des Deutschen Pavillons. Das Expo-Gelände liegt in der Nähe des bestehenden Mailänder Messegeländes. Die Weltausstellung wird sechs Monate lang geöffnet sein - vom 1. Mai bis zum 31. Oktober 2015.


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