Süddeutsche Zeitung: Der Sockel des Wilhelminismus
Der Haushaltsausschuss hat eine absurde Idee: „Schlosskolonnaden“ statt Einheitsdenkmal.
Von Jens Bisky
Der
Sockel im Spreekanal stört keinen. Bis 1950 ritt auf ihm Kaiser Wilhelm
I. zum Ruhme der deutschen Nation und der Hohenzollern. Sein
Reiterstandbild vor Kolonnaden, umgeben von allerlei bedeutendem Getier
und – der Symbolik halber – halbnackten Damen war ein beliebtes
Fotomotiv, bis die DDR-Oberen das Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal
abtragen ließen. Die Löwenskulpturen kamen in den Tierpark. Der Sockel
aber blieb leer. Er blieb leer, als das Schloss nebenan abgerissen
wurde, als Tribünen auf dem Marx-Engels-Platz standen, als der Palast
der Republik gebaut, genutzt, geschlossen, saniert, zwischengenutzt und
abgerissen wurde. So viel ringsum auch geschah, den Sockel ließ man in
Ruhe, bis der Bundestag 2008 entschied, an dieser Stelle ein Freiheits-
und Einheitsdenkmal zu errichten. Da war es mit der Ruhe des Sockels
vorbei. Er wurde zum Schauplatz einer bitteren kulturpolitischen Posse.
Ihren
Verlauf hat in dieser Woche das Stuttgarter Büro Milla & Partner
bei einem kleinen Neujahrsempfang rekapituliert. Gemeinsam mit der
Choreografin Sasha Waltz hatten Milla & Partner den zweiten
Denkmalwettbewerb gewonnen. „Bürger in Bewegung“ heißt ihr Entwurf einer
monumentalen sozialen Plastik: einer begehbaren Schale auf dem Sockel,
die sich langsam bewegt, wenn die Besucher auf einer Seite
zusammenströmen. „Einheitswippe“ hieß es spöttisch, aber das ist
ungenau. „Waage“, so die Gestalter, treffe es besser. Ob nun „Wippe“
oder „Waage“ – im April 2016 forderte der Haushaltsausschuss des
Bundestages die Regierung auf, dass vom Parlament beschlossene
Denkmalvorhaben zur Erinnerungan die friedliche Revolution und die
Wiedergewinnung der staatlichen Einheit nicht weiterzuverfolgen. Grund:
„Kostenexplosion“. Statt der ursprünglich geplanten zehn Millionen Euro
sei nun mit 14,85 Millionen zu rechnen. Man freut sich immer,wenn aufs
Geld geachtet wird.
Allerdings hat der Haushaltsausschuss im November dann gleich 18,5
Millionen Euro für den armen Sockel im Spreekanal vorgesehen. Für diese
Summe könnten die „Schlosskolonnaden“ wiedererrichtet werden. Nun gab es
vieles rings um das Schloss, dessen Neubau derzeit verkleidet wird, nur
„Schlosskolonnaden“ gab es nicht. Auf dem Sockel standen symbolisch
bedeutend verzierte Kolonnaden, gekoppelte ionische Säulen. Die
Eckpavillons trugen Viergespanne: Bavaria und Borussia. Ob die auch
rekonstruiert werden sollen, hat der Haushaltsausschuss nicht gesagt, so
wie überhaupt versucht wurde, die schlichte Tatsache zu verschleiern,
dass an Stelle der angeblich zu teuren „Bürger in Bewegung“ nun
wilhelminische Denkmalsarchitektur teilweise wieder errichtet werden
soll. Das ist so keck, dass man die Frage leicht vergisst, was das denn
den Haushaltsausschuss angehe. Berlin, Eigentümer des Sockels, will die
Kolonnaden nicht. Es gab nur vereinzelte Wünsche, keine Absprachen,
keine Diskussion.
Auch die „Kostenexplosion“ für die „Waage der
Freiheit“ hat es Milla & Partner zufolge nicht gegeben. In die
Rechnung seien einfach bauherrenseitige Nebenkosten (Wettbewerb,
Öffentlichkeitsarbeit, Gutachterkosten und einiges mehr) einbezogen
worden, Kosten also, die zum großen Teil seit 2011 bekannt waren.
Es
gibt gute Argumente gegen die Unbestimmtheit und harmonistische
Verspieltheit des Denkmalsentwurfs. Man kann und muss über ihn streiten.
Wer das Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal rekonstruieren will, kann eine
seit Monaten kursierende Petition unterzeichnen. Aber die
parlamentarischen und kulturpolitischen Regeln gelten auch für den
Sockel vor dem Portal IV des Humboldt-Forums. Wolfgang Thierse sagte auf
dem Neujahrsempfang, die Entscheidung gegen das Denkmal sei „nach
Gutsherrenart“ gefallen. Am 25. Januar wird der Kulturausschuss über den
Fall beraten. Auf einen Gesamtplan für die Humboldt-Schloss-Umgebung
wird man wohl noch längerwarten müssen. Es ist also mit weiteren Possen
und Blamagen zu rechnen.