FAZ: Kleiner Techniker, großer Techniker

Sie steuern ein unbemanntes Unterseeboot aus der Ferne, entwickeln mit Ingenieuren und Designern das Auto der Zukunft und diskutieren mit Wissenschaftlern über eine supraleitende Magnetschwebebahn. Die meisten von ihnen sind zwischen sechs und 16 Jahre alt. Um Wunderkinder handelt es sich bei den Besuchern des Ideenparks dennoch nicht.

Im Gegenteil, der Zutritt steht jedem offen und kostet nichts. Trotz Freibadwetters kommen Tausende von Familien jeden Tag in die Messehallen am Essener Grugapark, um Zukunft von der Medizintechnik bis zur Raumfahrt zu erkunden. Die 400 Exponate sind nicht wahllos auf der 60 000 Quadratmeter großen Fläche verteilt, sondern in 16 "Stadtquartieren" zusammengefasst, jedes für sich eine Themenwelt, die illustrieren soll, wie Technik zu einem besseren Leben beitragen kann. Da gibt es den Energiepark, das Körperkino, eine Schatzinsel - sie soll auf Ressourcenverfügbarkeit hinweisen - oder eine Bio-Werkstatt.

Da ein Rundgang 22 Stunden dauern würde, wenn man an jedem Exponat nur drei Minuten verweilte, bietet sich Konzentration an, etwa auf jene Themenwelten, die mit Mobilität zu tun haben. In der Hafenmeile zwischen aufeinandergestapelten Containern findet sich alles, was das Ausstellungskonzept von einem ein klassischen Mitmach-Museum wie dem "experimenta" in Heilbronn oder dem "phaeno" in Wolfsburg unterscheidet. Zum Beispiel wissenschaftliche Mitarbeiter der Technischen Universität Hamburg-Harburg, sie führen durch einen dreidimensionalen virtuellen Hafen - ein Simulationswerkzeug, mit dem der Aus- und Neubau großer Tiefseehäfen in der echten Welt geplant wird. Wie an vielen anderen Exponaten berichten die Fachleute der mehr als 200 Unternehmen und Hochschulen über ihre eigene tägliche Arbeit - authentischer, als das jeder Audio-Führer könnte.

Zuhören und Zuschauen ist aber im Ideenpark nicht das einzig Wichtige. Oft geht es ums Selbermachen. So kann überall gebastelt werden, in der Hafenmeile ein Segelboot, dessen Rumpf aus Kunstharz unter kundiger Anleitung selbst gefertigt wird. Bei der anschließenden Erprobung im Wasserbecken lernen die Schiffsbauer in spe gleich, wie strömungsgünstig die von ihnen gewählte Rumpfform ist. Wem das zu lange dauert, der kann ferngesteuerte U-Boote durch einen Unterwasser-Parcours steuern. Es ist gar nicht so einfach, mit drei Freiheitsgraden und der im Wasser naturgemäß verzögerten Reaktion auf Steuerbefehle zurechtzukommen. Jungs unter zehn Jahren scheinen von ferngesteuerten Modellen - Baggern, Mondlandefahrzeugen oder gar Roboterspinnen - besonders angetan zu sein. Ansonsten ist die Geschlechterverteilung unter den Besuchern, wie es sich deutsche Bildungspolitiker wünschen, paritätisch, mit 53 Prozent sind Mädchen sogar leicht überrepräsentiert.

Der "Verkehrskreisel" ist gleich eine ganze Halle, die der Mobilität auf dem Boden gewidmet ist. Neben einer futuristischen Unimog-Studie formen Kinderhände aus Ton das Auto der Zukunft. Angeleitet werden sie von zwei jungen Mercedes-Designern. Andere Bastler bedienen sich Papier und Schere, um die Frage zu beantworten, was uns im Jahr 2050 bewegt. Der größte Andrang herrscht jedoch am Nachbau eines ICE-Cockpits, mit dem eine virtuelle Strecke befahren werden kann.

Für den entwickelten Nerd besonders spannend ist die Demonstration von Dietmar Berger. Am Leibnitz-Institut für Festkörper- und Werkstofftechnik Dresden entwickelt er ein Magnetschwebe-Transportsystem, das mit Supraleitern arbeitet. Deren Funktion erläutert er an einer modelleisenbahn-ähnlichen Anlage: Wenn Keramikstücke aus Yttrium, Barium und Kupferoxid mit flüssigem Stickstoff auf minus 196 Grad abgekühlt werden, schweben sie in einem Magnetfeld, das die Schienen erzeugen. Einmal angestoßen, folgen sie diesem Magnetfeld - fast ohne Energieeinsatz, da sie nur den Luftwiderstand überwinden müssen, aber ansonsten keinerlei Energie durch Reibung verlorengeht.

Anschließend geht es im Aerodrom in die dritte Dimension. Ganz sachlich mit einem Computerplanspiel, mit dem ein Flugzeug konstruiert werden kann. Unter Zeitdruck müssen die Jungingenieure entscheiden, wofür sie das Budget ausgeben. Wie im richtigen Leben sind die leichteren Materialien teurer, aber ein schweres Flugzeug verlangt besonders leistungsstarke Triebwerke. Spielerisch wird gelernt, welchen Zielkonflikten sich Produktentwickler ausgesetzt sehen. Ganz anders als die Erfinder, deren Produkte ebenfalls ausgestellt sind: der Prototyp eines fliegenden Motorrads oder der Kompakthubschrauber Smartheli, an dem der Rotorantrieb durch an den Blattspitzen austretende Luft erfolgt. Beeindruckend ist der "Sky Dragon", ein luftschiffförmiger Drachen, der, angetrieben von einem kleinen Motor, in bis zu 20 Kilometern Höhe schwebt und bei Großereignissen oder Katastrophen als fliegender Mobilfunkmast eingesetzt werden soll. Zu guter Letzt gilt es, die Erdatmosphäre zu verlassen. Auf dem "Weltraumbahnhof" dominieren Visionen. Das deutsche Google-Lunar-X-Prize-Team berichtet, wie es in wenigen Jahren unbemannte Roboter zum Mond bringen will. Über eine verwegenere Idee berichtet Tim Wiese von der Technischen Universität München: Ein Aufzug ins Weltall. Theoretisch, das ist seit 200 Jahren bekannt, würde ein Seil, das rund 36 000 Kilometer ins Weltall reicht, auf dem Erdboden stehen bleiben, ohne in der Luft verankert zu werden. Fliehkräfte und Schwerkraft heben sich dabei gegenseitig auf. Das kleine Problem: Niemand kann ein solches Seil heute fertigen.

Anzugträger sind während des Rundgangs kaum zu sehen: Thyssen-Krupp-Chef Heinrich Hiesinger führt bisweilen Politiker durch den Ideenpark. Hiesinger ist in der Rolle des Hausherrn - das von ihm geführte Unternehmen ist der offizielle Veranstalter und investiert alle zwei Jahre rund 10 Millionen Euro in die zwei Wochen dauernde Ausstellung. Zudem werden 4000 Mitarbeiter zeitweise für die Organisation abgestellt. Die Partnerunternehmen - unter ihnen Daimler, Siemens oder die Telekom - übernehmen die Kosten für die eigenen Exponate und das Betreuungspersonal. Mühe scheut dabei keiner, denn schließlich ist der Ingenieur Mangelware. Je früher man junge Menschen für Technik begeistert, argumentierte Hiesingers Vorgänger Ekkehard Schulz schon 2004, desto größer die Chance, dass der Nachwuchs sich mit der Studienwahl richtig entscheide. Einer Untersuchung der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften zufolge erreicht der Ideenpark sein Ziel, Menschen für Technik zu interessieren und zu begeistern. Sein größtes Manko: Am 23. August schließt er wieder für zwei Jahre seine Pforten.

Von Johannes Winterhagen. Alle Rechte vorbehalten © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH

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